Die größte Ananas der Welt oder “Setz dich nie in einen Kaktus!”
Silke | 25. August 2011 | 14:43Warum zum Henker müssen die Leute immer dasselbe Theater aufführen?Als wir früh um sieben Uhr im Terminal aufschlagen, wo wir gestern abend schon gecheckt haben, wann das Colectivo fährt, behaupten einige Taxifahrer, gerade heute gäbe es keines und überhaupt sei die Straße dort für große Fahrzeuge nicht passierbar, da sie asphaltiert würde. Einer erklärt wort- und gestenreich und malt sogar eine Zeichnung mit der Schuhspitze in den Staub. Ohne mit der Wimper zu zucken bekommt man ins Gesicht gelogen und es werden blumige Geschichten erfunden- echt frech und etwas, was diese Leute nicht eben symphatisch macht. Einige Minuten später finden wir den Kerl von gestern abend wieder, mit dem wir nochmal sprechen. Ergebnis: Das Colectivo zum Paß Punta Winchus, wo die riesigen Puya Raimondis zu sehen sein sollen, fährt sehr wohl und wartet keine drei Meter hinter den Geschichtenerzählern auf seine Fahrgäste. Wir reservieren uns zwei Sitzplätze mit den Beuteln und warten. Langsam kommen immer mehr Leute, deutlich mehr, als Plätze vorhanden sind. Das Dach wird so vollgeladen (z.B. ein Kühlschrank und ein “paquetito” (=kleines Päckchen) von einer Frau mit den Ausmaßen eines Schrankes und ca 20 kg Gewicht), dass sich dieses fast buchstäblich durchbiegt. Als es dann um acht Uhr endlich losgeht, muss sich Stephan auf meinen Schoß setzen und sich mit den Ellenbogen auf den Stahlrohren der vorderen Bänke abstützen, da es uns mit unserer Körpergröße nicht möglich ist, nebeneinander auf den engen Rückbänken zu sitzen. So stapeln wir uns zum Amüsement der Mitfahrenden im Mittelgang. Auf die vorgesehenen 16 Sitzplätze quetschen sich schließlich 21 Leute, was den Fahrer nicht daran hindert, kaum sind wir aus dem Terminal rausgefahren, noch 2-3 Schuljungs mitreinzustopfen. Der erste Teil der Fahrt über die asphaltierte Straße geht noch, aber die anderthalb Stunden, die danach eine löchrige, staubige und ausgesetzte Serpentinenstraße hochführen, werden in der stickigen, unbequemen Enge zur bisher härtesten Tour. Als nach zwei Stunden die ersten vereinzelten Pujas sichtbar werden, und der Horizont die schneebedeckte Mountainrange der Cordillera Blanca freigibt, keimt in mir die Hoffnung, dass das Leid sich gelohnt hat. Trotzdem muss ich bei Stephan erstmal Abbitte leisten, als der Fahrer uns auf der Paßhöhe bei 4200m herausspringen läßt mit dem Versprechen, um 2pm sei er zurück. Dann ist er weg und wir allein zwischen den staubigen Bergflanken. Wir schultern unseren Rucksack und stapfen in Richtung eines Sattels hoch. Die Berge sind kahl bis auf ein paar Gräser und einige Kakteenarten. Besonders auffällig sind zwei Arten, die eine wächst als puscheliges weißes Kissen, die andere als Kugel, die schicke gelbe Blüten produziert.
Stephan ist einige Meter vor mir und kommt vor mir auf dem Sattel an. Nach dem ersten Blick über den Gipfel ruft er zu mir runter: “Vergiß die Ananas und guck dir DAS Panorama an!”.
“Ananas”, weil die Puja Raimondis Bromeliengewächse sind, die zur Familie der Ananasgewächse gehören. Diese hier sind nicht nur etwas besonderes, weil sie nur an wenigen Standorten (zweimal in Peru) in großer Höhe wachsen, sondern auch, weil sie einen extraordinären Lebenszyklus haben. Sie wachsen in Gruppen für ca. 100 Jahre und blühen dann ein einziges Mal mit bis zu 20.000 kleinen weißen Blüten an einem hoch aufgeschossenen Blütenstand, bevor sie verwelken. Als wir dort sind, befinden sich die Pflanzen gerade nicht in Blüte, jedoch sehen wir verschiedene andere Wuchsstadien. Zu Beginn verhältnismäßig klein mit kugelig wachsenden, stacheligen Blättern, dann verblühte 10m hohe Exemplare, die gerade vergilben sowie lange Verstorbene, die bereits schwarz verfault sind. Zunächst gehört unsere Aufmerksamkeit jedoch dem sich vor uns ausbreitenden Bergpanorama: die Cordillera Blanca mit ihren verschneiten und vergletscherten Spitzen liegt wolkenlos vor uns. Perfekte Sicht auf Alpamayo und Co. von unserem Standort aus, welcher parallel dazu in der Cordillera Negra liegt. Wir machen gefühlte 100 Bilder: Weitwinkel, Nahaufnahme, Panorama, mit Puja, ohne Puja, mit uns, ohne uns… Mit dem Panorama ist auch Stephan für die Fahrt entschädigt, die er “nur” für die “Blume” wohl etwas heftig gefunden hätte. Trotzdem, ich find die Pujas beeindruckend, auch wenn sie nicht in Blüte stehen.
Als wir die die Exemplare auf der einen Seite genügend ausführlich abglichtet haben, erklimmen wir noch einen kleinen Gipfel nebenan, wo kleine Steinmännchen aufgeschichtet sind. Auch dies macht ein extrem schickes Fotomotiv aus, weshalb ich schwungvoll in die Hocke gehe – und mit voller Wucht mein Hinterteil in einem Kaktus platziere (den puscheligen weißen). Shit, ich war selten so schnell wieder auf den Beinen und brülle wie am Spieß, was im Wortsinn ja auch ganz gut hinkommt. Durch meine dünne Trekkinghose sind die Stacheln leicht hindurchgedrungen und stecken mir jetzt gut 1-2 cm tief in der linken Pobacke. Stephan braucht gut 20 min., um mir die Teile wieder herauszuoperieren. Eine Woche später noch habe ich einen großflächigen blauen Fleck am Hintern sowie einen Sonnenbrand auf der anderen Hälfte, die beim Stacheln zupfen freilag. Die Rückfahrt nach Caraz gestaltet sich dann auch noch etwas turbulent, das das Colectivo nicht auftaucht, so dass wir uns zu Fuß an den Abstieg machen. Mit fast zwei Stunden Verspätung (und an der Grenze unserer Wasservorräte) taucht das Fahrzeug dann, eine Staubwolke hinter sich herziehend, auf und wir können zusteigen. Diesmal ist es leer, bis auf uns, aber dass ich die verbesserte Sitzplatzsituation nur so semi genießen konnte, sei dahingestellt!